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7. Juni 2021

Wahlen und die Regressionsfalle

Umfragen sind inzwischen ein beliebtes Mittel der politischen Berichterstattung. Dass sie manipulierbar sind, häufig in die Irre führen, falsche Ängste schüren und politische Fehlreaktionen auslösen, vor allem aber mit tatsächlichen Wahlen nichts zu tun haben, war soeben wieder am Beispiel Sachsen-Anhalt zu beobachten. Als Quelle für seriösen Journalismus taugen sie also nur äußerst bedingt. Auch wenn der CDU-Sieg mit Ministerpräsident Haseloff in der Höhe auf eine Last-Minute-Abwehrreaktion vieler Wähler gegen die AfD gewertet werden kann, bleibt die Frage, wie einige Institute und damit mehrere Medien die Rechten in dem Land schon vor der CDU sehen konnten. Wahlforscher, die wie jene von Infratest-Dimap oder der Forschungsgruppe Wahlen transparente und nachvollziehbare Ergebnisse liefern, hatten zu keiner Zeit einen Beleg für dieses Szenario. Und auch der so jäh gestoppte Höhenflug der Grünen hätte bei einer nüchternen Analyse der Verhältnisse in dem Bundesland nicht überraschen müssen.

In diesem Zusammenhang wies Gabor Steingart in seiner Kolumne auf ein immer wieder aufflackerndes Phänomen hin: „Mit ihrem stark ausgeprägten Herdentrieb werden die Medien ein ums andere Mal in die Regressionsfalle tappen und dem Journalismus keinen Dienst erweisen. Eine politische Berichterstattung, die den zur Gewissheit prolongierten Augenblick als Wahrheit verkauft, kann auf Dauer das Vertrauen des Publikums nicht rechtfertigen…“ Professor Fiedler von der Uni Heidelberg erklärt Regression in etwa so: „Was repressive Prozesse so schwer zu verstehen macht, ist, dass sie dem vorherrschenden Trend zuwider laufen. In jedem hohen Messwert steckt das Potential zum Absinken und in jedem niedrigem Messwert das Potential zum Anstieg(…) Intuitiv neigen Menschen dazu, von positiven Ergebnissen auf positive Eigenschaften und von negativen Ergebnissen auf negative Eigenschaften zu schließen. Das Prinzip der Regression verlangt aber genau das Gegenteil.“

Qualität im Journalismus besteht vor allem darin, genau hinzuschauen, exakt zu recherchieren und transparent zu argumentieren. Insbesondere im Umgang mit der AfD wurden am Wahlabend in Sachsen-Anhalt wieder Defizite erkennbar. Mangels konkreter Fragestellungen oder fakten- und kenntnisreicher Moderationen bot sich den Rechten immer wieder die Gelegenheit, ihre Legende von der bürgerlichen Volkspartei und neuen Stimme des Ostens auszubreiten. Kopfschütteln oder erregte Einwürfe sind kein taugliches journalistisches Mittel gegen die geschickt inszenierten Auftritte der AfD-Granden. Da blieb es ausgerechnet der Linken Sarah Wagenknecht bei Anne Will vorbehalten, den AfD-Chef Tino Chrupalla mit konkreten Vorhaltungen wirkungsvoll anzuzählen.